Rede zum Volkstrauertag

16. November 2021 : Bürgermeister Jens Korn gedenkt der Opfer der Weltkriege, von Gewalt, Terror und Vertreibung.

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Lieber Pater Jan, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

auch der Volkstrauertag 2021 ist anders als gewohnt. Wie im letzten Jahr bestimmt Corona den Ablauf der heutigen Gedenkfeier. Wieder wird es nur eine Kranzniederlegung im kleinen Kreis geben. Ich möchte deshalb zunächst Ihnen allen danken, die Sie heute erschienen sind und sich Zeit für diese kleine Gedenkfeier nehmen. Sie beweisen damit die Verbundenheit mit den Opfern von Krieg und Gewalt aus unserer Stadt, aber auch darüber hinaus.

Volkstrauertag – das bedeutet in unserer herkömmlichen Wahrnehmung vor allem ein Gedenken an „unsere“ Gefallenen der beiden Weltkriege. Und so war dieser Tag bei seiner Einführung 1925 auch gedacht, als Erinnerung an die Toten, die in Uniform starben. Die Nazis machten aufgrund ihrer perversen Ideologie aus dem Tag der trauernden Erinnerung einen „Heldengedenktag“.
Im Laufe der Jahrzehnte hat sich der Fokus dieses Tages geändert. Im Mittelpunkt stehen nicht mehr alleine die Soldaten, die auf den Schlachtfeldern des Ersten und Zweiten Weltkrieges ihr Leben ließen, sondern auch die zivilen Toten, die Opfer von Gewalt, Terror und Vertreibung. Diese Formel hat Eingang in das offizielle Totengedenken gefunden.

Doch die Begriffe Gewalt, Terror und Vertreibung mögen sich für den einen oder anderen weit weg anhören. Sie mögen denken: „Welche Opfer von Gewalt, Terror oder Vertreibung hat es bei uns schon gegeben? Die Namen „unserer Toten“ stehen doch auf den Kriegerdenkmälern.“ Mancher wird vielleicht sogar mutmaßen, dass die Ausweitung des Gedenkens gar ein Kniefall vor der „Political Correctness“ sei?

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

so weit weg sind sie nicht von uns die Opfer von Gewalt, Terror und Vertreibung. Es ist unserem Ortsheimatpfleger Franz Behrschmidt zu verdanken, dass sie bei uns wieder ein Gesicht erhalten haben, dass man sich ihrer wieder erinnert. Durch seine Arbeit wurde uns das Schicksal von zwei Wallenfelser Männern ins Bewusstsein gerufen, die ihr Leben im KZ verloren. Es waren dies Johann Stumpf-Schweig, der im KZ Flossenbürg umgebracht wurde, und Bartholomäus Müller (Miena Bartl), der im KZ Sachsenhausen zu Tode kam.

Noch nicht vollständig aufgearbeitet ist das Schicksal von Menschen aus unserer Stadt, die sterben mussten, weil ihr Leben aufgrund von Krankheit und Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde. Wir wissen zumindest von zwei Euthanasiefällen aus unserer Stadt.

Und auch der Terror war erkennbar. Wir wissen das, weil Franz Behrschmidt auch die Erinnerung an den Todesmarsch von KZ-Insassen durch Wallenfels im April des Jahres 1945 geweckt hat. Es handelte sich dabei um Häftlinge des KZ Außenlagers Sonneberg, die beim Heranrücken der US-Armee von ihren Wärtern in Richtung Osten getrieben wurden. Am Weißen Sonntag 1945 zog der Marsch durch Wallenfels. Die Bilder von ausgemergelten Menschen, die mehr tot als lebendig waren, haben sich bei den Augenzeuginnen so in das Gedächtnis eingebrannt, dass sie selbst nach 75 Jahren das Erlebte genau beschreiben konnten.

Aber auch Flucht und Vertreibung sind hier vor Ort erlebbar. Die Menschen aus dem Frankenwald durften zum Glück ihre Heimat behalten. Viele aber kamen am Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem Sudetenland, Schlesien oder Ostpreußen zu uns und fanden hier ein neues Zuhause. Aber das Geschehene, der erlittene Verlust der Heimat und die Erlebnisse auf der Flucht prägten und prägen die Menschen noch heute. Auf unserem Friedhof erinnert auf Initiative des Gartenbauvereins ein Gedenkstein an die Vertriebenen.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

am Volkstrauertag gibt es keine Opfer 1. oder 2. Klasse. Wir gedenken aller, egal ob sie ihr Leben im Schützengraben, im KZ oder auf der Flucht verloren haben. Ihr Tod ist uns Mahnung – heißt es oft formelhaft bei solchen Gedenktagen.

Mahnung – im Duden steht zur Bedeutung des Wortes: „nachdrückliche Aufforderung, etwas Bestimmtes zu erledigen, Erinnerung an eine Verpflichtung“. An welche Verpflichtung erinnern uns die Toten der Kriege, von Gewalt und Terror?

Zumindest die Toten im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg haben eine Gemeinsamkeit: Sie wurden zu Opfern einer – wie es in der Präambel der Bayerischen Verfassung heißt – „Staat- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen“. Wenn uns der Tod dieser Menschen also zu etwas mahnen muss, dann dazu, dass wir uns für eine Gesellschaft einsetzen, die die Würde des Menschen achtet und in der das Gewissen sowie die Verantwortung vor Gott oberste Richtschnur sind.

Nach meiner Überzeugung ist unser Land eine solche Gesellschaft. Allerdings ist diese Gesellschaft bedroht, allerdings nicht von außen. Was unser Land, was unsere Gesellschaft, was unsere Demokratie bedroht, ist die innere Spaltung. Es wird immer schwieriger, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden. Das war in der Eurokrise 2007 der Fall, das hat sich in der Flüchtlingskrise 2015 verschärft und eskaliert im Augenblick in der Corona-Pandemie.

Um die Spaltung zu erkennen, müssen wir nicht ins Fernsehen oder Internet schauen. Wir erleben es täglich: In der Familie, am Arbeitsplatz oder im Verein. Wir meiden gewisse Themen, weil wir wissen, dass es Streit ohne die Aussicht auf Verständigung gibt: Impfen, Maskenpflicht, Coronabeschränkungen sind solche Themen.

Aber eine Gesellschaft, in der man nicht mehr miteinander redet, weil man keinen Konsens, keinen gemeinsamen Nenner mehr findet, die droht auseinanderzubrechen. Die Folgen hat dieses Land schon einmal erlebt. Wo die Demokratie untergeht, da entsteht die Diktatur. Und Diktatoren halten sich dadurch an der Macht, dass sie sich Feinde suchen, Feinde im Inneren wie Äußeren, Feinde die sie mit allen Mitteln bekämpfen von der Gewalt, über den Terror bis hin zum Krieg.

Nehmen wir die Mahnung der Toten also ernst. Tun wir gemeinsam etwas für den Frieden, fangen wir hier und jetzt an. Gehen wir aufeinander zu, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Schütten wir die Gräben zu, die sich in den letzten Jahren aufgetan haben. Und versuchen wir zu verhindern, dass neue Gräben aufgerissen werden.
Das ist schwer, aber das ist wahre Arbeit am Frieden. Wenn uns das gelingt, dann haben wir die Mahnung der Toten beherzigt.