Bericht über eine Floßreise aus dem Jahr 1938

8 Tage Flossfahrt von Bamberg bis Mainz

400 km auf einem Floss

Die Idee, die jahrhundertalte Arbeit der Flößer zu reportieren, kam mir, wie ich auf der Figurengeschmückten Würzburgerbrücke stand. Da steuerten vier Flößer ein Floß von ansehnlicher Länge durch die Floßgasse unter dem mittleren Brückenjoch hindurch. Da fahr ich mit!

Ein Fischer am Würzburgerquai gibt mir Auskunft, dass die Floße von Lichtenfels und Kronach, also aus dem Frankenwalde her kämen. Noch am selben Nachmittag trägt mich der Schnellzug in den Frankenwald nach Kronach. Platt war ich, wie die Rodach, das Flüsschen bei Kronach ganz wenig Wasser führte, und die Baumstämme fast auf dem Trockenen waren, statt im Wasser. Von hier weg eine Floßfahrt zu machen kommt nicht in Frage, darüber war ich mir klar und eine Stunde später saß ich schon wieder im Abendzug und fuhr zurück nach Bamberg. Von hier weg werden die großen Flöße abwärts gefahren. Und richtig in Bischberg, vier Kilometer unterhalb Bamberg, da zimmerten und hämmerten und sägten Herr Johann Müller aus Wallenfels und seine zwei Söhne samt einem Nachbar, ein Floß zusammen: "Kann ich mitfahren", "Gewiss", meinte Herr Müller, "in zwei Tagen fahren wir, um vier Uhr morgens müssen Sie in der Schleuse bei Viereth sein". Gut, zwei Tage blieb mir Zeit um den Aufbau des Floßes mitzuverfolgen.

Das Floß ist 120 Meter lang. Länger als 130 Meter darf es nicht werden. Es sind 500 Fichten- und Föhrenstämme, die zu Tal geflößt werden. In Kubikmetern ausgedrückt sind es 280 Kubikmeter Holz. Das Floß wird 9 Meter breit gebaut. Auf diese Weise kommen 35 Baumstämme nebeneinander zu liegen. Auch die Breite von 9 Metern stellt das Maximum dar, und zwar kann und darf das Floß nicht breiter gebaut werden, der Floßgassen wegen, die es zu passieren hat und der Schleusen wegen.

Die Baumstämme bilden drei Lagen übereinander. Alle Stämme sind entrindet. Die Stämme, die im Frühling gefällt werden, lassen sich mühelos entrinden, während die Stämme, welche im Sommer oder Herbst gefällt werden immer noch etwas ein bräunliches Aussehen haben, weil bei ihnen sich die Rinde nicht so leicht und nicht ganz lösen ließ. In der Mitte des Floßes haben die Flößer ihre Hütte errichtet. Es ist eine aus Brettern gezimmerte Hütte. Drin liegt genügend Stroh ich habe auf der ganzen Fahrt in keiner Nacht gefroren. 5 Mal im Jahr fährt Herr Müller mit einem Floß zu Tal. Wenn eine Fahrt auf den Herbst oder Vorfrühling fällt, nimmt Herr Müller sein Bett mit in die Hütte. Vernagelt wird das Floß mit 30 Kg 18 cm Nägeln. Jeder einzelne Stamm wird an Querhölzern verschiedentlich vernagelt.

Herr Müller zählt 61 Jahre und sein Nachbar, der mitfuhr 65 Jahre. Schon seit dem 14. Lebensjahr fährt Herr Müller mit Flößen zu Tal. Man siehts den Flößern an, dass sie das Handwerk schon sehr lange betreiben. Mit ungeheurer Ruhe, treiben, leiten und stemmen sie das Floß mit ihren Stangen um die Mainwindungen und den Brückenbogen durch, lassen es im Tempo von 30 Kilometer die Floßgassen hintunterschießen und steuern es ohne jegliche Hast in die Schleusen. Keine Fische habe ich ja während der ganzen Fahrt, während der ganzen 8 Tage vernommen.

Gestoßen wird das Floß nie, sondern die Arbeit der Flößer besteht lediglich darin, mit ihren 6 Meter langen Flößerstangen das Floß immer in der Strömung zu halten und so jegliches Scheuern des Floßes am Ufer wenn möglich zu verhindern suchen. Dass es bei dieser Flößerarbeit nicht ohne größere Muskelarbeit und ohne turnerische Geschicklichkeit abgeht, sieht man. Und just diese Arbeit mit den Flößerstangen heißt man: flößen. Diese Arbeit bedingt natürlich eine kräftige Nahrung, welche die Flößer auf einen kleinen Kachelofen zuzubereiten wissen. An Fleisch wird da im Topfe nicht gespart. Hingegen ist der Liter schwarze Kaffee, den wir als Bestandteil des Morgenessen hatten, wieder eine Sache für sich. Hinter der Hütte, der Sonne abgekehrt ruhen 5 Fass süffigen bayerischen Biers. Auf der Fahrt, während der großen Nachmittagshitze, waren wir ungeheuer froh um das Getränk. Und da man Mainabwärts allgemein weiß, dass die Flößer ein schönes Quantum Bier mit sich führen, so werden wir des Öfteren von einem Fischer oder einem Matrosen um einen Krug Bier ausgegangen. Für den Liter Bier haben wir 32 Pfennige bezahlt. Während der vielen Jahre, während deren Herr Müller nun Mainabwärts fährt, gingen nicht alle Fahrten so glatt von statten, wie die heurige, die ich miterlebte.

Gerade letzten Herbst ist dem Flosse von Herr Müller folgendes zugestoßen: Ein schwerer Schiffsunfall ereignete sich am Freitag, den 30. Oktober gegen 16 Uhr 30 bei Staustufe Himmelstadt. Das zu Tal fahrende Motorschiff "Mainloo" mit dem Schiff "Mariahilf" im Anhange wurde in der Nähe der Staustufe Himmelstadt plötzlich vom Nebel überrascht und rammte das dort tätige Kranschiff: Um das Unglück voll zu machen kam noch ein Floß von Johann Müller, Wallenfels, zu Tal und stieß auch auf die Schiffe. Und das ganze Kunterbunt stieß auf die Brücke auf; das Floß zerschellte und trieb abwärts in 5 Stücken. 4 Tage waren nötig, um das Floß wieder flott zu machen.

Unsere einzelnen Tagesleistungen waren folgende:

1. Tag: Bischberg - Schweinfurt

2. Tag: Schweinfurt - Ochsenfurt

3. Tag: Ochsenfurt - Himmelstadt

4. Tag: Erzwungener Aufenthalt im Himmelstadt, da der Main bei Harlach durch einen zu schwer beladenen Schlepper gesperrt war.

5. Tag: Himmelstadt - Wertheim

6. Tag: Wertheim - Wörth

7. Tag: Wörth - Seligenstadt

8. Tag: Seligenstadt - Höchst bei Mainz.

Auf der Fahrt passieren wir zehn 300 Meter lange Schleusen und 6 Floßgaßen. Wohl die gefährlichste führt unter dem mittleren Brückenbogen der Würzburgerbrücke durch. Da laufen dann immer die Passanten auf der Brücke an die Brüstung, lehnen hinüber und staunen hinunter wie die vier Flößer mit sicherer Ruhe das Floß durch die Widerwellen steuern und stemmen. Von Lohr weg (liegt unterhalb Würzburg) wird unser Floß von einem Schlepper bis Mainz geschleppt, und da just ein zweites Floß uns in Lohr eingeholt hat, weil wir ja in Himmelstadt einen unfreiwilligen Aufenthalt machen mussten, nimmt der Schlepper eben grad beide ins Schlepptau.

Noch vor zehn Jahren musste das Floß nicht geschleppt werden, weil damals weder Elektrizitätswerke noch Staustufen am Main in so großer Zahl gebaut waren. Diese nehmen im unteren Teil dem Main fast vollständig seine Strömung, und so muss der Flößer, der früher auf dem sog. freien Main in einem Zuge durchflößen konnte, sich schleppen lassen. Die Schleusen vergüten dann dem Flößer für jeden Kubikmeter geflößten Holzes 1½ Pfennig, sodass dies ihm einem Teil der Schleppkosten bezahlt. Geflößt wird auf dem Main schon seit dem 16. Jahrhundert, so berichtet die Chronik von Wallenfels. Es sind dies ganz bestimmte Familien, die schon Generationsweise, dieses, ich darf wohl sagen gesunde, bodenständige Handwerk betreiben. Auf unserer Fahrt durchfahren wir ganz verschiedene Landschaftstypen. So das rebenbedeckte Gelände von Würzburg. So auch das Stück, wo der Main auf lange Zeit den Spessart durchfließt. Und da ist mir just auch die Erzählung von Hauff, "Das kalte Herz" eingefallen, darin auch eine Flößergestalt vorkommt, der Kohlenmunkpeter mit seinem steinernen Herzen.

Ein Bericht von A. Bollinger, geschrieben 1938

Dieser Bericht wurde von dem Fotografen A. Bollinger aus Schaffhausen in der Schweiz im Jahre 1938 während seiner Reise mit den Wallenfelser Flößern erfasst. Die Originalfotos und der Originalbericht wurden freundlicherweise von Hans Müller-Caspar-Sohn zur Verfügung gestellt.